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innesang.com: Bibliothek der Minnesänger

                                                                              

Frauenlob Manesse-Bild

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Eine TV-Kritik zur MDR-Sendung findet sich hier.


Der Tannhäuser auf CD:
I Ciarlatani
I CIARLATANI: Codex Manesse
- Hier findet sich "Ich lop ein wîp" und "Steter dienest" ("Luode leich") in beschwingter Interpretation
> Bestellen für 15  plus 3 € Versand.

Anno Domini
ANNO DOMINI: Stauferzeit
- Hier findet sich der "Luode leich" in einer gemessenen, melancholischen Variante
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Ioculatores Erlauchter Fürst
IOCULATORES: Der erlauchte Fürst
- Eine mitreißende Version von "Steter dienest" ("Luode leich"), dazu "Ich muoz claghen" und ein Auszug aus der "Hofzucht" in Rezitation von Jörg Peukert
> Bestellen bei Raumklang


> Hier kann man die Tannhäuser-Sendung anschauen auf der MDR-Website.




DER TANNHÄUSER UND SEINE LIEDER
von Dr. Lothar Jahn

Der Minnesänger hat als Folge der Tannhäuser-Sage, die sich in Richard Wagners gleichnamiger Oper widerspiegelte, das Image eines mittelalterlichen Playboys. Dies wurde 2011 vom MDR-Fernsehen noch zugespitzt: In der Reihe „Geschichte Mitteldeutschlands“ widmete sich der Sender den „Skandalen des echten Tannhäuser“ (Ausstrahlung: 13.11.2011). Darin wurde Tannhäuser als „Idealbild des Ritters, der immer nur das eine will“ dargestellt und als „Popstar des Mittelalters“ bezeichnet.

Zur Rolle, die die Erotik im Schaffen des „Tannhuser“ oder „Danhuser“ spielt, später. Erst einmal ein paar Worte zur Popstar-These. Wenn es überhaupt einen Sänger gibt, auf den diese Bezeichnung zutreffen könnte, dann Neidhart („von Reuental“): Er war über nicht nur über Jahrzehnte, sondern über  Jahrhunderte, populär, provokant, seine Melodien zupackend und extrem eingängig, die Überlieferung ist entsprechend breit, zahlreiche Epigonen kopierten seinen Stil. Damit kann sich der Tannhäuser nicht messen: Wenn man in der Terminologie bleibt, ist er eher ein „One hit wonder“. Sein Lied über die Herrin, die mehr, mehr und immer noch mehr vom Sänger verlangt, ist als  DIE ironische Kommentierung des Ideals der Hohen Minne schlechthin in die Geschichte eingegangen. Die Melodie, wie sie uns aus der Kolmarer Liederhandschrift bekannt ist, kann es an "Hitpotential" durchaus mit Neidhart aufnehmen. Angemessen erscheint mir für den Text aufgrund seiner satirischen Elemente eine tänzerische, augenzwinkernde Umsetzung, wie sie von I Ciarlatani und den Ioculatores gewählt wird, obwohl eine melacholisch klagende Variante, wie sie Karsten Wolfewicz mit Anno Domini wählt, auch ihren Reiz hat. Drei Strophen erscheinen – in variierter Form und unterschiedlicher Reihenfolge – in den drei Überlieferungen (Manesse, Berliner Handschrift, Kolmar). Nur in der Manesse (Tanhuser-Lied IX) findet sich auch ein Refrain zu dem Lied, in der ebenfalls dreistrophigen Berliner Fassung ist davon nur noch ein Verweis übrig geblieben, an welcher Stelle der Refrain eingefügt werden soll, in der Kolmarer Fassung wird der Text des Manesse-Refrains zu einer zusätzlichen Strophe erweitert.  Die Lieder VIII und X in der Manesse variieren das Lied, das deutet darauf hin, dass die Thematik beim Publikum ankam. Und das sehr lange, denn die erst Ende des 15. Jahrhunderts aufgeschriebene Kolmarer Handschrift bringt 11 (!) Strophen. Die Kolmar-Fassung bietet weitere Fortspinnungen des „Modells“, wie wir es aus der Manesse kennen: Die Forderungen der hohen Dame an den Ritter, für sie das Unmögliche zu tun – die Donau in den Rhein fließen lassen, ihr das Meer vors Haus zu holen, Marias Mantel, Noahs Arche und Parzivals Gral beschaffen usw. – werden immer größer und unerfüllbarer. Nur in Kolmar findet sich aber auch ein Endpunkt der Geschichte mit einer Art „Gegenstrophe“, die die Eingangsformel „Steter dienest der ist guot / den man schonen frouwen tuot“ (Manesse) durch „Zwar langer dienest der ist niht guot / und den man argen wîben tuot“ beantwortet. Nach all den über 10 Strophen ausgeführten harten Prüfungen reicht es dem tapferen Minnediener und er antwortet schließlich ganz unritterlich mit Faust und Knüppel.

Das Stück taucht in der Kolmarer Handschrift unter dem Titel „Des Danhusers luode leich“ auf,  es ist aber trotz seiner Länge kein Leich im engeren Sinne, denn üblich ist bei dieser Langform der Minnedichtung die Verbindung unterschiedlich gebauter, mit einander formal nur ein wenig korrespondierender Strophen, während hier ein (parodistisches) Minnelied mit 11 gleichgebauten Strophen vorliegt. Der Tannhäuser ist allerdings einer der wenigen Minnedichter, die sich gerne dem Leich zuwenden, der ja bei Heinrich von Rugge („Leich vom Heiligen Grab“) und Walther von der Vogelweide („Marienleich“) eine anspruchsvollere, komplexere Form darstellt, die meist geistlichen Themen vorbehalten ist.

Die Manessische Handschrift eröffnet den Tannhuser-Teil mit gleich sechs Leich-Dichtungen, in denen der Sänger die Langform für ganz unterschiedliche Themen nutzt.  Nr. I („Uns kumt ein wunneclichiu zît)“ ist eine Fürstenpreisung  auf Friedrich II. von Österreich, die um 1245 entstanden sein muss. Nr. II („Welt ir ganzen fröuden sîn“) ist eine poetische Pastourelle, die die Annäherung des Sängers an eine Schöne im Freien schildert. Nr. III („Der winder ist zergangen“) variiert diese Form und verbindet sie mit einer köstlichen Parodie auf die Wolframsche Angewohnheit, französische Wörter in seine Epen einfließen zu lassen: "Ich hort da wol tschantieren, die nachtegal toubieren, alda muost ich parlieren". Leich Nr. 4 – der einzige, zu dem uns auch die Musik überliefert ist (durch den im gleichen Ton gedichteten Conductus „Sion egredere“)
bietet das, was der Titel "Ich lob ein wîp" verspricht: ein Frauenlob, das die Herzensdame über alle anderen stellt! Der Sänger vergleicht sie mit Königinnen und den schönsten Frauen aus Literatur und Mythologie von Isolde über Helena und Dione bis hin zu Sibille und Frau Blanschiflur – er zeigt sich so nebenbei als belesen und gebildet – , doch keine Frage: Seine Angebetete stellt alle in den Schatten. Nachdem das klar gestellt ist, stellt er ihre körperlichen Vorzüge heraus, dann spricht er sie direkt an, damit sie ihm folgt. Der Ton wird drängender, die Stimmung ausgelassener, die Zeilen werden kürzer, die Reime häufen sich - meist endet ein Leich beim Tanhuser in einem Tanz, in dessen Verlauf die Menge ihn namentlich anspricht (hier: "Heia Tanhusere, zergangen ist din swere"), und es wird so ausgelassen musiziert, dass dem Fiedler der Bogen bricht.  Leich Nr. 5 ("Der künec von Marroch") schildert weite Reisen durch die fast ganze damalige bekannte Welt, bis der Tanhuser zwischen den Freunden wieder in fröhlichen Tänzen angekommen ist. Leich Nr. 6 ("Ich muoz klagen") schließlich erinnert an große und mildtätige Herrscher und beklagt, dass ähnlich hochkarätige Fürsten heutzutage Mangelware sind.

Diese kleine Zusammenfassung der thematischen Breite des Leich-Schaffens zeigt schon, wie sehr die Charakterisierung des Tanhusers als "Idealbild" (was wäre das eigentlich für ein "Ideal"?) des Ritters, der "nur das eine will" ins Leere läuft. Er ist am (höfischen) Leben in all seinen Facetten interessiert und bei aller Kritik am entsagungsvollen Minnedienst, die er in der besten Tradition Walthers von der Vogelweide aufgreift, durchaus in der Lage und gewillt, seine Dame, die er verehrt und begehrt, gebührend zu preisen.

Das gleiche Bild ergibt sich beim Blick auf seine kürzeren Minnelieder und Spruchgesänge: In Lied XII ("Hie vor do stuont min dinc also") folgt er mit eigenen Beobachtungen Walthers  berühmter Altersklage, in Lied XIII ("Wol ime, der nu beizen sol") gibt er bemerkenswerte Einblicke in den Alltag der endlos langen Seereisen der Kreuzfahrer, wodurch er sich wohl das Kreuz am Gewande auf seiner Manesse-Miniatur verdient hat. Lied VII "Wol uf, tanzen überal" und XV "Danc habe der meie" sind herrlich-frühlingshafte Minnelieder der alten Schule. In Lied XIV („Daz ich ze herren niht entwart“) beklagt er seinen eigenen sozialen Abstieg in Verbindung mit einer scharfen Kritik an den Herren, die nach dem Tod des großzügigen "Helden aus Österreich" das Sagen haben. Auch das nur in der Jenaer Handschrift überlieferte Bußlied "Es ist hiute eyn wunnyclicher tac" mit seiner schwermütigen Melodie ist von Tragik, aber auch von Zuversicht auf Gottes Heil bestimmt.

So bleibt nur ein einziges (!) Lied, das Tannhäusers Ruf als skrupelloser mittelalterlicher Playboy begründen könnte: die Nummer XI der Manesse-Handschrift "Gen disen wihennachten", aus dem die MDR-Sendung immer wieder ein paar Zeilen zitierte, die die Schamlosigkeit des "jungen Rebellen" belegen sollten. Das Lied beschreibt ganz ähnlich wie Walthers "wunder wol gemachet wîp" den Körper der begehrten Frau von dem Augen und den rosenfarb'nen Wangen bis hinunter zum Zeh, wobei er das "Dazwischen", das Walther nur in nachvollziehbarer Verzückung andeutet, ein wenig deutlicher beschreibt: die Brüste, das wohlgeformter Hinterteil und der rotbraun gelockte Schoß! Aber auch das ist nicht Porno pur, sondern eingebunden in eine zärtliche, persönliche Hinwendung zur verehrten Dame, und in der Sprache deutlich zurückhaltender, als sich beispielsweise Neidhart oder später Oswald in manchen Liedern äußern.

Es ist geradezu lächerlich und historisch unhaltbar, aus diesem Lied allein eine eindimensionale Figur zu konstruieren, die dem "Idealbild des Ritters, der immer nur das eine will" entspricht. Vielmehr ist der Tannhäuser ein ebenso origineller wie in der Tradition und Stilistik des Minnesangs bewanderter Sänger und Dichter, mit dem die Auseinandersetzung lohnt - vorausgesetzt, man sucht mehr als die Lieder eines Zotenreißers, der hilft, beim Publikum des nächsten Ritteressens für Schenkelklatschen und rohes Gelächter zu sorgen!

Tanhuser
Der Tannhäuser in der Manessischen Liederhandschrift

Lebensdaten:
- Seine Sangspruchdichtung verweist auf viele konkrete Ereignisse und Personen im Zeitraum zwischen 1245 und 1265.  Ob er mit dem Burgsitz Tannhausen in der Pfalz zu tun hat, ist umstritten. Eine Zugehörigkeit zum Adelsgeschlecht derer von Tannhausen (gleichnamiger Ort in der Nähe von Dinkelsbühl in Mittelfranken) wird angenommen. Wahrscheinlich nahm er teil am Kreuzzug 1228, zumindest schrieb er darüber. Dies würde eine Geburt um 1210 nahelegen. Laut eigenen Angaben in seinen Liedern wirkte er am Hofe Friedrichs des Streitbaren (1211 - 1246) in Österreich, wo er ein gutes Auskommen hatte. Hinterher erlebte er offenbar einen sozialen Abstieg. 


Die Tannhäuser-Legende:
- Setzt man das etwas freizügigere Lied
„Gen disen wihennachten“ in Zusammenhang mit dem Bußlied hat man vielleicht den Ausgangspunkt zur Tannhäuser-Legende gefunden: Danach soll er auf dem Venusberg (Hörselberg) ausgiebig die Freuden der Liebe gekostet haben, was er später bereute. Deshalb pilgerte er nach Rom und bat den Papst um Vergebung. Der Papst verweigert ihm diese, außer sein Pilgerstab würde ergrünen. Am dritten Tage tat er genau das, da war der Tannhäuser aber schon wieder unterwegs zum Venusberg.  Die Legende ist seit etwa 1430 verbreitet und wurde in der Romantik von Tieck, Heine und später Richard Wagner aufgegriffen, der daraus seine Tannhäuser-Oper entwickelte.

Überliefertes Notenmaterial:
- Minnelied-Parodie "Des Danhusers Luode Leich" (Manesse-Titel: "Steter dienest der ist guot") in der Kolmarer Liederhandschrift
- Tanhuser-Leich "Ich lop ein wîp",  überliefert durch Conductus "Gaude Syon", abgedruckt in Helmut Lomnitzer, Ulrich Müller (Hrsg.): Tannhäuser: die lyrischen Gedichte der Handschriften C und J; Abbildungen und Materialien zur gesamten Überlieferung der Texte und ihrer Wirkungsgeschichte und zu den Melodien. Kümmerle, Göppingen 1973, ISBN 3-87452-111-7 (Litterae; Band 13).
- Bußlied "Es ist hiute eyn wunnyclicher tac", Jenaer Liederhandschrift
-  Tanhusers Hauptton ("guldin tone") in der Kolmarer Liederhandschrift
- Nürnberger Handschrift x mit einer Variante von Tanhäusers Hauptton, sowie einem Hofton und der "Luodeleichenweise"

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LIEDBEISPIEL VOM TANNHÄUSER

Ein boun stan in yndian.
Gros den wil si von mir han.
Minen willen tuot si gar.
Seht ob ich irs alles her gewinne.
Ich muos gewinnen ir den gral.
Des da pflag her parcyfal.
Unde den apfel den paris
Gab dur minne uenus der güttine.
Unde den mantel der beslos
Gar die frowen diu ist unwandelbere.
Dannoch wil si wunder gros.
Daz ist mir worden swere.
Ir ist nach der arke we.
Diu beslossen hat noe. Heia hei
Brehte ich die wie lieb ich danne were.

Nur aus Indien noch ein Baum  
Fehlte ihr in ihrem Raum.  
Schnell schon war ich wieder da,  
Dass ich ihren nächsten Wunsch erriete.  
Ja, den Gral vom Parzeval  
Wollte sie dann auch nochmal  
Mit dem Apfel ‑ ist das klar? ‑,  
Den einst Paris schenkte Aphrodite.  
Nein, sie gab so schnell nicht auf,  
Auch Marias Mantel wollt' sie haben.  
Alles nahm ich still in Kauf,  
Ließ den Launen ihren Lauf,  
Trieb selbst Noahs Arche auf  
Und noch mehr Wundergaben, Heiahei,  
Doch jetzt sollen and're weiterdarben.

Original: Manessische Handschrift, 14. Jh.
Nachdichtung: Lothar Jahn 1999



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