Nachruf auf Ulrich Müller
(1940 - 2012)

von Dr. Lothar Jahn,
www.minnesang.com

Ulrich MüllerImmer, wenn es galt, eine Frage im Zusammenhang mit der komplexen Materie des Minnesangs zu klären und man nicht mehr weiter wusste, war er die richtige Adresse: Es gab kaum ein Thema, das Prof. Dr. Ulrich Müller im Laufe seines langen, arbeitsreichen Lebens nicht bearbeitet hatte. Egal, ob es um den Sängerstreit auf der Wartburg ging, um das Werk herausragender Minnesänger oder um die richtige Aussprache, er hatte immer die passende Antwort. Und wenn er wirklich einmal selbst an die Grenzen geriet, dann wusste er garantiert den richtigen Ansprechpartner. Insofern ist sein Tod auch für Minnesang.com ein schwerer Verlust.

Ulrich Müller wurde 1940 in Göppingen (Baden/Württemberg) geboren. Er studierte Germanistik, lateinische Philologie, Archäologie und Musikwissenschaft an der Universität Tübingen, wo er seine Dissertation über Oswald von Wolkenstein schrieb. 1971 folgte in Stuttgart seine Habilitation im Fach Deutsche Philologie, Thema war die politische Lyrik. Seit 1973 war er an der Universität Salzburg aktiv, zunächst als Gastdozent, später als Ordentlicher Professor (Ordinarius) für Deutsche Literatur des Mittelalters. 2008 wurde er emeritiert. Er war Mitbegründer des Mittelalter-Zentrums der Universität Salzburg und war stellvertretender Koordinator der mittelhochdeutschen Datenbank  MHDBDB.  Bis 2007 stand er der Oswald-von-Wolkenstein Gesellschaft vor.

Walther, Neidhart, Oswald, die Carmina Burana , Michel Beheim, Wolfram von Eschenbach und Hartmann von Aue - zu allen wichtigen Vertretern und Themengebieten des Minnesangs und seiner verwandten Gebiete hatte er Entscheidendes beizutragen, oft auch in Zusammenarbeit mit kompetenten Kollegen. Er hat dem Praktiker durch gut lesbare Werk-Ausgaben Vieles erleichtert, hat Hintergründe aufgedeckt und sich etwa in Fragen der Aussprache auch einmal gegen gängige Konventionen gewendet. Legendär ist seine Zusammenarbeit mit dem Sänger Eberhard Kummer, wodurch uns etwa eine Gesamtaufnahme des Nibelungenliedes, des Wartburgkrieg-Fürstenlobs und des Herzog-Ernst-Liedes vorliegen. Auch mit dem Salzburger Ensemble "Dulamans Vröudenton" verband ihn eine lange und produktive Freundschaft, er begleitete die Musizierpraxis des Ensembles als kompetenter Berater und schrieb Booklet-Texte.

Nicht nur sein Fachwissen, auch seine sympathische, freundliche und offene Art werden nicht nur seine Freunde vermissen. 
"Ein faszinierender Mann und ein großer Impuls für unsere Minne-Welt," nennt der Minnesang-Interpret Holger Schäfer aus Göttingen ihn zurecht.  Der Lautenist, Sänger und Musikwissenschaftler Marc Lewon trauert: "Ein wahrhaft großer Mann ist gegangen. Ich danke Dir, Uli, für Deine Freundschaft, Deinen fachmännischen Rat und Deine große Liebe für mittelalterliche deutsche Literatur und Sprache. Ich kann nicht fassen, dass Du gegangen bist...". Auch der Berliner Sänger Hans Hegner, der bei ihm studiert hat, erinnert sich voll Respekt: "Ulrich Müller hat mit seiner Liebe zur Musik und seiner Aufgeschlossenheit gegenüber unterschiedlichsten Ansätzen zur Aufführungspraxis den Minnesang aus der Gelehrtenstube heraus in die frische Sommerluft geführt.". Der Salzburger Musiker Thomas Schallaböck (Dulamans Vröudenton) bedankt sich bei seinem "Freund, Förderer und Mentor" mit den Worten "Danke für all Deine geduldige Hilfe, danke für Deine Freundschaft.  Wir werden Dich sehr vermissen!". Und der Sänger Knud Seckel aus Alsbach ergänzt:  "Ulrich Müller ist fuer mich der große geistige Wegbereiter, der mir zeigte, dass Wissenschaft und Praxis zusammen gehoeren. Seine Ratschläge waren für mich immer ein unbedingter Impuls in der Interpretation meiner Musik."

Von den Früchten seiner Arbeit kann die Minnesang-Szene noch lange ernten.

>> Ulrich Müllers Text zur Aussprache des Mittelhochdeutschen, 2010 Minnesang.com zum Abdruck zur Verfügung gestellt.
>> Ulrich Müllers Biografie auf der Website der Uni Salzburg.