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Dr. Lothar Jahn
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CD des Monats Dezember 2012
MAGISTER PETRUS
Vacillantis (Enchiradis)
Die
meisten Einspielungen von lateinischer Liedlyrik des Hohen Mittelalters
beschränken sich auf die Carmina Burana und da noch einmal auf die
absoluten Klassiker von „Bacche bene venies“ übers
wohlgetane Kind an der verfluchten Linde bis hin zu „Totus
floreo“. Die Musiker von Magister Petrus aus Spanien haben auch
ein paar Carmina-Burana-Stücke dabei, diese machen aber gerade
etwa ein Drittel des hier eingespielten Repertoires aus. Man sieht
dadurch, dass die uns so bekannten „Hits“ in einem breiten
Kontext ähnlich gearbeiteter Lieder standen. Und mit noch einer
Tradition brechen sie: Irgendwie spiegelt sich ja die Orffsche Lust am
Monumentalen in vielen Einspielungen auch der mittelalterlichen
Vertonungen der Werke wieder – und wenn es nur die großen
Kirchenräume sind, die auch kleine Ensembles orchestral erklingen
lassen. Hier wählte man einen anderen Weg. Ausgehend von der Idee,
dass die Sangesabende der Scholaren eher im häuslichen Rahmen
stattfanden als im Kirchenraum, wählte man auch einen
entsprechenden Aufnahmeraum. Das tut nicht nur der Rhythmik gut, auch
abgedroschene
Nummern wie „Fas et nefas“ kommen einem durch den warmen,
direkten Klang plötzlich näher. Schon wegen dieses frischen
Klangerlebnisses muss man die CD haben. Auch musikalisch hat Mauricio
Molina ganze Arbeit geleistet: Interpretation und Instrumentation
wirken stimmig und inspiriert! Ein paar Höhepunkte seien genannt:
Walther de Chatillons böse Zeitklage „Ecce torpet
probitas“, diesmal nur spärlich begleitet vom Saitenklang,
doch dafür umso intensiver; Pedro de Blois' „Olim
sudor Herculis“ als Instrumental mit herrlichen Streichern und
das frühlingsfrische „Ecce tempus gaudii“. Das Finale
„Luto carens“ von Philipp, dem Kanzler, schlägt einen
politisch etwas fragwürdigen Bogen von der Flucht der Juden
aus Ägypten mit der angestrebten „Befreiung“ des
Heiligen Landes durch die Kreuzfahrer. Auch hier wählt Magister
Petrus aber einen erfreulich unpathetischen Ton. Mehr als
empfehlenswert! (lj)
> Die CD gibt's auf der Website des Ensembles.
CD des Monats November 2012
ENSEMBLE PEREGRINA
Veiled Desires (Raumklang)
„Verschleierte
Begierden“, was für ein wunderbarer Titel für ein
Album, das das Leben der Nonnen aus unterschiedlichen Perspektiven
beleuchtet. Da ist zum einen der Trost, der Schutz vor der Welt durch
den „himmlischen Bräutigam“ Jesus, der seine
Jüngerinnen liebevoll empfängt. Doch selbst Hildegard
von Bingen, die hier den Gottessohn als „sanftesten
Geliebten“ (dulcissime amator) preist, wusste, dass der Preis,
der „Frucht zu entsagen“, hart war und bat Gott um
Stärke, damit die Jungfernschaft gewahrt werden konnte. In einer
hier dargeboteten französischen Motette heißt es gar:
„Ich spüre die süßen Schmerzen unter meinem
Gürtel! Verdammt sei der, der mich zur Nonne machte“. Der
Versuchung sind nicht wenige Kleriker doch erlegen, wie das wunderbare
Zwiegespräch zwischen Priester und Nonne im „Suavissima
nunna“ aus dem 11. Jahrhundert zeigt – ähnlich wie das
„Maledicantur thyliae“ aus den Carmina Burana in
einer die Ironie verstärkenden Mischung aus damaligem
Deutsch und Latein gedichtet. „Ain beispiel von ainer
eptissin“ berichtet dann von einer Klosterchefin, die es so weit
trieb, dass sie statt ihrer Haube die Unterwäsche ihres Geliebten
über den Kopf zog. Aber auch Missbrauch durch den Geistlichen war
im 13. Jahrhundert schon Thema, wie eine weitere Motette aus Paris
belegt. Das Repertoire des Ensembles Peregrina gibt also das gesamte
Spektrum des Nonnenlebens von spiritueller Sublimation bis hin zum
lustvollen oder gewaltsamen Aufbruch christlicher Tabus wieder, wobei
die Musiker um Agnieszka Budzínska-Bennet die ganze Bandbreite
von meditativer Innerlichkeit bis hin zur fast schon kabarettistischen
Übertreibung beherrschen. Die Arrangements sind klug durchdacht
und verstärken die Textinhalte treffend. Schön, dass hier die
klösterlichen Klänge einmal nicht nur in entrückter
Schönheit dargeboten werden, sondern in ihren lebensweltlichen
Kontext mit all seinen Widersprüchen gestellt werden. Ein gutes
Konzept, das auch durch seine virtuose Umsetzung und klangliche Finesse
besticht!
>> Raumklang-Website.
>> CD bei Asina Music bestellen.
CD des Monats Oktober 2012
ALLA FRANCESCA & BRIGITTE LESNE
Le Chansonnier du Roi (Outhere)
Thibaut
de Champagne, hierzulande auch als Theobald I. bekannt, war ein Urenkel
Eleonores von Aquitanien und damit Nachfahre des ersten Trobadors: Der
Gesang war ihm quasi in die Wiege gelegt. Er gilt als einer der
erfolgreichsten Trouvères, zumal seine Großmutter Marie de
Champagne Größen wie Chrétien de Troyes, Guyot de
Provins und Gace Brulé in ihrem Hofkreis vereinte. Der letztere
war der große Meister der tieftraurigen Minneklage, sein Einfluss
ist in Thibauts Gesängen der Fin'Amors deutlich spürbar, die
die CD eröffnen. Thibaut spann die Fäden der großen
Alten gekonnt weiter, das machen Alla Francesca gleich zu Beginn in
zurückhaltender Interpretation deutlich. Er hatte durchaus aber
auch einen Sinn fürs Humorvolle und bedachte die edle Ritterschaft
mit frechen Seitenhieben, vor allem, wenn er von deren
Verführungsversuchen gegenüber schönen Schäferinnen
am Wegesrand singt - dazu fällt einem im deutschen Minnesang
Gottfried von Neiffen ein. Die Interpreten erlauben sich zur
Illustrierung der Schäferstündchen schon mal perkussive
Akzente und komödiantische Einlagen. Von unseren fürstlichen
Dichtern kann allenfalls Wizlaw von Rügen dem ähnlich
vielseitigen Thibault halbwegs das Wasser reichen. Beide setzen je nach
Stoff den Sang melismatisch oder syllabisch und erproben sich in vielen
Stoffen und Genres vom Frühlingslied bis hin zur Marienpreisung.
Als Dichter und Musikanten mutig und beschlagen, waren beide aber auch
als Herrscher ähnlich glücklos und wurden zum Spielball der
Großen. Allerdings konnte Thibault zumindest dem Sultan von Kairo
Geländegewinne im Heiligen Land abringen. Sein Credo, dass der Weg
ins Paradies nur dem Kreuzritter offensteht, hat er auch in
Kreuzliedern festgehalten. Zwei davon sind hier zu hören, vor
allem das in mönchischer Zweistimmigkeit gesungene„Au tans
plein de felonie“ hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck.
Zwischen den hochkonzentriert vorgetragenen Liedern sind zur
Auflockerung ein paar tänzerische Instrumentals gesetzt. Insgesamt
eine anspruchsvolle und anregende Produktion, die uns einen
großen Sänger-Dichter in Erinnerung bringt! (lj)
> CD bestellen bei Amazon.
> Website des Ensembles hier.
CD des Monats September 2012
THEATRUM INSTRUMENTORUM
Carmina Burana (Arts Music)
Seit
Carl Orff hat man mit den Carmina Burana etwas Großes und
Erhabenes im Sinn, man sieht vor dem geistigen Auge Massen
aufmarschieren und in großen Chören den Frühling
begrüßen, während sich unaufhörlich das
Glücksrad dreht. Auch viele Mittelaltermusiker, obwohl sie sich an
den von René Clemencic und Michael Korth einst wieder
freigelegten alten Melodien orientieren, bewegen sich (unbewusst) in
diesem Rahmen, obwohl viele Lieder ja vom Inhalt her eher einen intimen
Vortrag nahelegen würden. Auch das Theatrum Instrumentorum
wählt diesen Monumentalcharakter, neben den opulent orchestrierten
Arrangements ist es vor allem der Hall – eine große,
vielleicht sogar leere Kirche? -, der selbst die dezent-meditativen
Momente wie das innige „Veris dulcis in tempore“ ins
Grandiose zieht. Die klangschönen Bläserarrangements
erstrahlen im Kathedralensound aber wirklich gut, die Sackpfeifen
mischen sich herrlich mit Pommern und Schalmeien und dem Schlagwerk,
dessen noch spürbare Präzision sich allerdings manchmal im
Hall verliert. Davon abgesehen gelingt der achtköpfigen
italienischen Gruppe unter Leitung des in 1968 in Jugoslawien
geborenen Aleksandar Sasha Karlic aber wirklich ein beeindruckend
farbenfroher Rundumschlag durch die Carmina unter Verwendung des
gesamten mittelalterlichen Instrumentariums. Auch die der keltischen
Musiktradition abgelauschte Verbindung verschiedener Carmina zu kleinen
Medleys passt gut zum spielmännischen Charakter der Stücke.
Wobei man allerdings erstmal darauf kommen muss, die todtraurigen
Minneklage „Dulce solum“ mit dem feuchtfröhlichen
„In Taberna“ zu kombinieren! Aber so ist das Leben ja auch:
Lust und Leid liegen dicht beieinander. Alles in allem 70 Minuten
großartig gespielte und aufwändig arrangierte Vagantenmusik
mit furios-frählichem Finale (Totus floreo/Bache bene venies).
(lj)
>> CD direkt bestellen bei Minnesang.com für 15 Euro plus 3 Euro Versand.
CD des Monats August 2012
MUSIKTHEATER DINGO
Es stunt ein frouwe alleine - Der weibliche Blick auf die Minne (Dingo)
Rezension von Florian Hellbach, Berlin
Das
Album "Es stunt ein frouwe alleine" widmet sich Frauenliedern des Hohen
Mittelalters. Diese stammen aus der Feder von Frauen wie Blanka von
Kastilien, Beatriz de Dia oder im kirchlichen Bereich Hildegard von
Bingen und Mechthild von Magdeburg. Oder sie stammen aus dem Werk
bekannter Minnesänger wie Neidhart oder Dietmar von Aist,
die in einigen Liedern die Frauenperspektive einnehmen. Das
Musiktheater Dingo schafft es, diese alte Musik modern klingen zu
lassen. Dabei wird immer auch der Inhalt nachvollziehbar: Wenn alte
Sprachen wie Provenzalisch, Latein oder Mittelhochdeutsch erklingen,
werden Übersetzungen und Erklärungen musikalisch sinnvoll ins
Original eingearbeitet. Das interessante Stück für mich ist
"Eleonores Monolog". Im von Susanne Schmidt eindrucksvoll vorgetragenen
Text erfährt man aus der Sicht einer Frau, Eleonore von
Aquitanien, wie schwer das Leben an der Seite eines Königs sein
kann. Die historischen Fakten sind gut recherchiert. Musikalisch
wurde das altenglische Herbstlied "Miri it is" und die bekannte Klage
von Richard Löwenherz geschickt eingearbeitet, sie unterlegen
den Text atmosphärisch, ohne die Aufmerksamkeit
vom Eigentlichen abzulenken. Auch der Witz fehlt nicht, etwa beim
Zwiegesang zwischen "Dame Margot et Dame Maroie" über die
Liebe und bei Neidharts spritzigen Mutter-Tochter-Dialogen. Sehr
erfrischend sind auch Lothar Jahns Einlagen auf
Saiteninstrumenten wie Cister, Dommel. Oud und Gitarrenlaute (u.a. bei
"A chantar", "Amours ou trop" und "Es stunt ein frouwe").
> Mehr hier.
> Auftrittstermine und Infos auf der Website vom Musiktheater Dingo.
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CD des Monats Juli 2012
EBERHARD KUMMER
Ulrich von Liechtenstein - das herze mîn ist minne wunt
(Vox medii aevi)
Ulrich
von Liechtenstein ist eine tragische Figur: Sein ganzes Sehnen strebt
danach, den Idealen der hohen Minne und edlen Ritterlichkeit wieder zum
Durchbruch zu verhelfen. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade
deshalb, weil er nun mal mindestens ein halbes Jahrhundert zu spät
auf die Welt gekommen ist – haben seine Texte oft einen
ungewollten Zug ins Parodistische. Trotzdem sollte man den Ritter der
Venusfahrten, den Schlürfer des Badewassers der Geliebten, der
sich auch nicht zu schade ist, ihr seinen Finger zu opfern, nicht der
Lächerlichkeit preisgeben. Eberhard Kummer nähert sich diesem
Vorläufer von Don Quichotte mit Zuneigung und Respekt. Deshalb ist
ihm auch ein sehr schönes Album gelungen. Vor allem füllt es
eine schmerzliche Lücke: Nicht ein einziges Lied Ulrichs ist mit
Melodie überliefert. Der Altmeister aus Österreich bietet
hier viele Kontrafakturen an, die schlüssig und
maßgeschneidert wirken: Herrlich die zupackenden
Frühlingslieder „In dem walde süeze döne“
und „Nun schouwet wie des mein zît“ mit Musik aus dem
Klosterneuburger Osterspiel und aus der Trouvères-Tradition. Ins
Schwarze trifft auch der augenzwinkernde Appell an die Ritterschaft,
sich bei den Damen beliebt zu machen, weil das auch im Freundeskreis
den Marktwert steigert: „Êren gernde Ritter“
fügt sich wunderbar mit „Iam dulcis“ zusammen.
Gelungen ist auch das Lob der Hohen Minne in reinster Form zu einem
anonymen Chanson d'amour bei „Wil iemen nâch
êren“. Und auch der stets für zum Schluchzen
schöne Melodien gute Gace Brulé veredelt Ulrichs Blick in
die Frauenherzen bei „Wizzet alle...“ Es wäre zu
hoffen, dass diese klugen Kontrafakturen von der Minne-Szene freudig
und fleißig nachgesungen werden! Kummer singt es uns jedenfalls
mit seinem angenehm sympathischen Bass in bester Artikulation vor,
begleitet sich dabei schlicht und schön auf Harfe und Drehleier.
Zwei Kontrafakturen sind nicht nach meinem Geschmack: Die Verwendung
von solchen „Megahits“ wie dem Palästinalied und
Neidharts „Meie dîn“ ist problematisch, da man sie
sofort mit dem Originaltext verbindet. In beiden Fällen passen sie
auch nicht wirklich zum Ulrich-Text, insbesondere sein Meisterwerk, das
hoch-erotische und gleichzeitig wunderbar
lyrische„Sumervar...“, hätte eher eine
zärtlich-verträumte Melodie gebraucht. Alles in allem aber:
Bravo! (lj)
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CD des Monats Juni 2012
HESPÈRION XXI
Mare Nostrum (Alia Vox - Harmonia Mundi)
Im
letzten Jahr verstarb "die Muse“ des Ensembles Hespèrion
XX (jetzt XXI), wie Jordi Savall seine Frau und künstlerische
Gefährtin Montserrat Figueras gerne nannte. "Mare nostrum", bei
dem sie das letzte Mal mitsang, ist also auch eine Art
Vermächtnis. Ein roter Faden des 28 Stücke enthaltenden
Doppelalbums ist die sephardische Musik. Diese wurde von den Sephardim,
den spanischen Juden, entwickelt, deren Sprache sich auf vom Jiddisch
der „ashenasischen“ Juden in deutschen Landen unterschied.
Nach Jahrhunderten relativer Toleranz im friedlichen Miteinander der
Kulturen und Traditionen wurden die sephardischen Juden zu Beginn der
Neuzeit aus Spanien vertrieben. Ihre Lieder nahmen sie mit, sodass sich
die sephardische Musik im ganzen Mittelmeerraum verbreitete und
über die Jahrhunderte weitergetragen wurde, wobei in die
Überlieferung die jeweiligen Traditionen der Gastgeberländer
mit einfloss. Um 1930 begannen Forscher diese Schätze der Musik
niederzuschreiben. Sie zogen durch die Türkei, Bulgarien und viele
andere Länder. Dabei dienten ihnen auch blinde Musiker und
Sänger als Quellen, da diese sich besonders gut Melodien
einprägen. Auch arabische Musik spielt eine wichtige Rolle bei
„Mare nostrum“. Hier erwähnte Jordi Savall ein in
Istanbul, dem einstigen Konstantinopel, erhaltenes Noten-Manuskript.
Dieses arbeitete er mit dort heimischen Musikern auf, dabei lernte er
viel über das ausdifferenziertere morgenländische Tonsystem,
dass zwischen Halb- und Ganztönen noch weitere Schritte kennt.
Hinzu kommen auch Beispiele aus dem christlichen Raum, z.B. aus den
Cantigas de Santa Maria. Die Mischung von Tänzen, Liebesliedern,
Schlafliedern und geistlicher Musik stellt die Gemeinsamkeiten und
fruchtbaren Begegnungen der unterschiedlichen Kulturen heraus.
(Florian Hellbach)
>> Artikel zur CD-Vorstellung in Berlin.
CD des Monats Mai 2012
NORBERT RODENKIRCHEN
Hameln Anno 1284 - Auf den Spuren des Rattenfängers (Christophorus)
"Hameln
Anno 1284" ist der Titel des Albums, das erstaunlicherweise Musik aus
dem gleichen Zeitraum beinhaltet, die vornehmlich an der
Ostseeküste entstanden ist. Wieso das denn? Nun, 1284 soll laut
Hamelner Überlieferung ein Musikant dortgewesen sein, der die
Knaben mit sich genommen hat. Von Ratten ist in den ersten Quellen noch
nicht die Rede. Der Grund für den großen Exodus der jungen
Generation war wohl ein anderer – wie heute bei der Ost-West-
oder Nord-Süd-Wanderung ging es um die Suche nach Arbeit und Brot.
Die slawisch besiedelten Gebiete an der Ostsee brauchten dringend
Arbeitskräfte – und so wie heute jede gute Werbung mit Musik
daher kommt, waren offenbar auch damals Musikanten im Einsatz.
Rodenkirchen lässt seinen Rattenfänger dabei vornehmlich
Melodien von Wizlaw von Rügen
flöten, womit er bei Minnesang.com einen Extrapunkt landet,
schließlich ist der immer noch unterbewertete Sänger ein
Melodienzauberer der Extraklasse. Hochinspirierte Versionen des
Frühlingsliedes „De voghelin“, des sehnsuchtsvollen
“Ich han gedacht“ oder des herrlichen Wizlaw-Tageliedes
lassen dem Rezensenten das Herz im Leibe springen – liebevoll
umspielt Rodenkirchen mit seinen Flöten die vielgestaltigen
Melodien, die ihn zu kleinen Improvisationen anspornen, ohne dass sie
ihren Ursprung verleugnen. Zu Worte (in Tönen) kommt auch der
Magister Ungelarde aus Stralsund, wohl eine Art Lehrer Wizlaws, den
dieser laut Jenaer Liederhandschrift um seine unendlich traurige
"sehnende Klage" beneidete. Und diese – in weit über die
Tonskala ausgreifender Pentatonik – komponierte Melodey ist auch
einer der Höhepunkte des Albums. Auch dem anderen, eher
schulmeisterlichen Ungelarde-Ton aus der Kolmarer Liederhandschrift
gewinnt Rodenkirchen noch unerwartete Reize ab. In Wizlaws Gesellschaft
stellt Rodenkirchen zurecht auch Meister Alexander („der
Wilde“ genannt, was aber nicht auf seine Musik zutrifft) und
natürlich Frauenlob, der dem "jungen Herrn Wizlaw von Rügen"
einst ein Preislied zudachte, und nun wiederum ein besonderer Liebling
Rodenkirchens ist (siehe sein gefeiertes Album mit Sabine
Lutzenberger). Wenn also am Ostseestrand derart herrliche Melodien
erklingen, dann bedarf es gar nicht mehr vieler Worte: Gerne lässt
man sich von diesen Klängen in eine bessere Welt führen und schließt sich dem Tross des flötenden
"Rattenfängers" an! (lj)
>> Website Norbert Rodenkirchen, Website Christophorus (Label)
CD des Monats April 2012
THE EARLY FOLK BAND
Northlands. Ballads and Dance Tunes (Ahalani Records)
In
der Early Folkband haben sich bekannte Musiker der
Frühen-Musik-Szene zusammengefunden, um ihre historische
Musiziertradition um Folk-Feeling zu bereichern. Dabei sind die
Schwedin Miriam Andersén, die wie immer herrlich
weltentrückt singt, die Fidel-Virtuosin und
Montalbâne-“Chefin“ Susanne Ansorg, das
deutsch-englische Musikanten-Paar Gesine Bänfer und Ian Harrison
(Les Haulz et les Bas) und der Brite Steven Player, der herrlich auf
Zithern und Barockgitarren spielt. Das Album beginnt mit einem
achtminütigen Meisterstück, der Ballade „The two
sisters“. Die böse Geschichte um das neidische Mädchen,
das seine Schwester im Meer ertränkt, um ihr den Liebsten zu
stehlen, bis diese ihre schaurige Auferstehung in Gestalt einer
singenden Knochenharfe zelebriert, wurde vor allem durch die
Pentangle-Version („Cruel Sister“) bekannt. Die Early
Folkband verbindet das im Norden weit verbreitete Lied, dessen Melodie
um 1700 erstmals gedruckt wurde, mit einer schwedischen Vertonung und
Textfassung. Dabei legen die fünf Musiker einen großartigen
Spannungsbogen über das gesamte Stück. „King
Orfeo“ von den Shetland-Inseln ist eine weitere dieser
melancholischen Balladen, bei denen sich Harfenklang mit unendlich
melancholischem Gesang verbindet. Aber wer Harrison schon mal live
erlebt hat, weiß, dass er vor Energie schier explodieren kann: So
gehören zum Repertoire natürlich auch begeisternde Tänze
wie der „Dorset four-hand reel“ und „Goddesses“
(aus der Playford-Sammlung) sowie die virtuos explodierende
Flötennummer „Berwick lasses & Peckhover walk“.
Beim dänischen "Olof Stangeson" aus dem 16. Jahrhundert kann
Susanne Ansorg dann die Kastagnetten aus einem
Straßen-Shop in Istanbul effektvoll zur Geltung bringen.
Eine A-cappella-Nummer braucht ein echtes Folkensemble
natürlich auch noch: Thomas Ravenscrofts Hymne an Robin Hood
gelingt den gut gelaunten Sängern trefflich. Alles in allem eine
wunderbare Mischung effektvoll arrangierter Stücke, bei denen
immer mal wieder ein Klassiker wie „Jenny pluck pears“
aufblitzt, bis wieder neue Entdeckungen zu machen sind – z.B.
zwei Perlen Englands Barock-Meisterkomponisten Henry Purcell. Zum
Abschluss gibt es mit „Cuckold come out the amrey“, das mit
einem herzergreifenden Sackpfeifen-Intro beginnt, eine Mitmachnummer,
die förmlich nach Publikum schreit. Man darf sich also auf die
Live-Präsentation des Materials freuen! (lj)
>> CD direkt bestellen bei Minnesang.com für 15 Euro plus 3 Euro Versand.
>> Website der Early Folk Band, Website Ahalani-Records.
CD des Monats März 2012
LES DERNIERS TROUVÈRES
Provins... revisitâmes (Des Chansons sur Mesure)
Die
Derniers Trouvère kehren dorthin zurück, wo sie sich
wohlfühlen. Nach Ihrem Album "Provins – La Magnifique" nun
also "Provins... revisitâmes". Die geschichtsträchtige
Region verdient eine zweite Huldigung. Was die Trouvères machen,
ist nicht einfach Neu-Interpretation alter Werke. Zwar fließen
Melodien und Texte bekannten Ursprungs mit ein, hier zum Beispiel von
Thibault de Champagne, aber die Trouvères machen ihre eigenen
Texte und Lieder, in denen sie das wunderbare Erbe des Mittelalters
preisen. Geschichten werden erzählt – nein, aus voller Kehle
gesungen, mit herrlichem Chorgesang, gefühlvoll gespielen
Flöten, fetzigen Sackpfeifen, dezenten Mandora- und
Streicherklängen und punktgenauer Perkussion. Und auch, wenn ihre
knallbunten Gewandungen eher aus Fantasia stammen und alle Authentiker
die Augen verdrehen: Sie haben etwas, das vielen anderen fehlt,
nämlich einen eigenen, unverkennbaren Stil. Dem verdankt die
Gruppe um Paradiesvogel und Goldstimmchen Marie Milliflore, den
hochmusikalischen Roland Deniaud, dem Geschichtenerzähler Florian
Lacour und den warmherzig-humorvollen Sänger François
Bourcheix (Teilnehmer beim Europäischen Minnesängerstreit
2009 in Braunschweig) ihren Erfolg. Diesmal widmen sie sich mit all
ihrer Liebe z.B. dem Heiligen Thibault de Provins, der wie Elisabeth
und Franz von Assisi die Armen um sich scharte, sie antworten dessen
Namensvetter, dem Minnesänger Thibault de Champagne, auf ein Lied,
in dem er sich wie ein gefangenes Einhorn fühlt. Auch ein
Kreuzlied Thibaults kontern sie mit der Sichtweise der Sarazenen. Sie
feiern Chrétien de Troyes und Abaelard, sie preisen
mittelalterliche Gärten und Märkte. Und am Ende wissen sie
genau, was sie mit ihrem Leben tun müssen: Singen, singen, singen!
Hoffentlich noch lang... (lj)
CD des Monats Februar 2012
CLEMENCIC CONSORT
Jagd nach Liebe (Oehms Classics)
Der
Jäger bricht auf , um ein edles Wild zu erlegen. Mit dabei sind
seine Hunde "Herz", "Freude", "Wille", "Wonne", "Trost" und "Treue" -
so schilderte um 1340 der Donauländische Dichter Hadamar von Laber
den Ausgangspunkt seiner ausgedehnten Minne-Allegorie. Vor einigen
Jahren hat sich Altmeister René Clemencic gemeinsam mit dem
epen-geschulten Bariton Eberhard Kummer, dessen
Nibelungen-Lied-Interpretation dem Kenner noch gut im Ohr ist,
daran gemacht, dieses Werk wieder zum Klingen zu bringen.
Die CD ist eine Live-Aufnahme aus dem Runtigersaal in Regensburg. Die
Tonqualiät geht in Ordnung, allein die unvermeidlichen Huster
stören von Zeit zu Zeit. Aus der "Jagd" werden vier
Ausschnitte dargeboten, darunter der Anfang und der Schluss. Reizvoll
ist dabei der stimmliche Kontrast zwischen dem sonoren Gesang Kummers
und dem hellen Kontratenor Markus Forster. Als Grundmelodie wurde
der Titurelton genommen, der Strophenbau legt das auf den ersten
Blick nahe. Der rhythmisch sehr freie Gesang der beiden Solisten zur
dezenten und doch sehr raffinierten Begleitung von Harfe und Drehleier Eberhard Kummers übt trotz der dauernder
Wiederholung des Tones einen magischen Sog aus. An dieser Melodie kann
man sich einfach nicht satthören! Trotzdem gibt es sinnvolle
musikalische Exkurse zu Zeitgenossen wie dem Mönchen von
Salzburg, Gherardellus de Florenttia und zu diversen anonymen Liedern,
die alle die Jagd-Thematik variieren. Die köstliche
Falkenlied-Parodie des Mönchen, bei der eine Trappgans den
geliebten Falken wegfängt, dient als humoristischer Gegenpol zur
Herzensschwere Hadamars. Unbedingt erwähnt werden muss als vierter
Musiker des hochinspirierten Quartetts Esmail Vasseghi, der schon als
Perkussionist glänzt, vor allem aber dem Hackbrett herrliche
Klänge entlockt. Alles in allem besticht die CD durch
Originalität und das gut durchgearbeitete Konzept des verdienten
Pioniers der musikalischen Mittelalter-Erkundung. Dank an René
Clemencic für dieses ganz besondere Album! (lj)
CD des Monats Januar 2012
LEONES
Neidhart - A Minnesinger and his "Vale Of Tears" (Naxos)
Das
Ziel dieser Einspielung ist es, Neidhart zurückzuführen in
den Kreis der höfischen Sänger. Bei der Analyse der Melodien
des frühen Frankfurter Neidhart-Fragmentes entdeckte Leones-Leiter
Marc Lewon einen sensiblen Dichter und Komponisten, der sich nicht ganz
so begierig in den Strudel bäuerlicher Tanzvergnügungen
hineinziehen lässt, wie es die griffigen Melodien der
späteren Überlieferung suggerieren. Doch keine Angst, es ist
alles da: Natureingang und Minneklage münden immer wieder in
böse Händel mit dummdreisten Dörpern, die dem Ritter
drohen, weil sie ihm die Huld der Damen missgönnen. Und obwohl
Lewon und Els Janssens-Vanmunster gesanglich ebenso zurückhaltend
agieren wie die oft nur hingetupfte Begleitung als Gegenpol zu
brachial-bäurischer Maienzeit-Marktmucke, blitzt noch genug Humor
und Hintersinn auf. Dieser wird verstärkt durch raffinierte
kleinen Suiten von Baptiste Romain und Lewon, die bruchstückhaft
bekannte Neidhart-Melodien aus anderen Handschriften aufblitzen lassen.
Der entscheidende Unterschied wird deutlich beim direkten Vergleich mit
dem eingefügten Lied des „Tugendhaften Schreibers“ aus
dem Dunstkreis des Landgrafen Hermann I., ihm dichtet man ja eine
Teilnahme am legendären Sängerkrieg an. Sein „Guoten
wib wol üch der eren“ verströmt demutsvoll Edelmut zu
Konrads Wintermelodey aus der Jenaer Handschrift, doch eine
großartige, fast zehnminütige A-cappella-Version
von „Ich claghe de
bluomen“ weist voller Bitternis über unerwiderte Liebe,
bäuerliche Rücksichtslosigkeit und höfische Raffgier den
konventionellen Widersacher in die Schranken. Das von Marc Lewon
anrührend gesungene und begleitete Frau-Welt-Abschiedslied
„Allez daz den sumer“ setzt dann den resignativen
Schlusspunkt, dem das Ensemble mit Walthers „Vil wol gelopter
got“ und Adam le Halles „Je muir, je muir“ einen
etwas versöhnlicheren Ausklang beifügt. Kein Zweifel:
Neidhart wird mit
dieser Einspielung noch tiefer ins Reuental hineingezogen. Er
rückt uns dadurch aber menschlich näher – als ein Mann,
der viel Leid erlitten hat, der aber durch geschliffenen Spott in
Sprache und Musik seinen Weg gefunden hat, dem Schicksal zu trotzen.
(lj)
> Alle Liedtexte finden sich hier.
> Neidhart in der Bibliothek der Minnesänger.
> Magisterarbeit von Marc Lewon zum Frankfurter Neidhart-Fragment.
CD des Monats Dezember 2011
CHRISTOFFEL CONSORT
Minnesang – Schweizer Liebeslieder aus dem Mittelalter (Zytglogge)
Dass
sich einer mal näher mit den Schweizer Minnersängern
auseinandersetzt, war lang schon überfällig. Christoph
Mächler alias „Christoffel vom Hengstacker“ mit seinem
Christoffel Consort ist auch genau der richtige Mann dafür,
vertrat er sein Land doch schon beim ersten Europäischen
Minnesänger-Wettstreit 2009 in Braunschweig. Drei
Sängerdichter sind es, die im Mittelpunkt dieser CD stehen, alle
haben es auch in die Manesse-Handschrift geschafft: Werner von Homberg
(1272 – 1320), Otto zum Turm (Anfang 14. Jh.) und Albrecht
Marschall von Rapperswill (ca. 1290 – ca. 1314). Alle drei also
recht späte Vertreter der Gattung! Trotzdem ist leider keiner von
ihnen mit Notation überliefert; also muss zum Mittel der
Kontrafaktur gegriffen werden. Erfreulicherweise werden dabei nicht die
tausendmal heruntergenudelten Melodien der Klassiker des Minnesangs
genommen, sondern eher unbekannte Töne von Frauenlob, Regenbogen,
dem Mönchen von Salzburg oder Neidhart. Nur ein „Hit“
des Minnesangs findet sich wieder, Wizlaw von Rügens
„Loibere rîsen“, die Melodie ziert aber auch Werner
von Hohenbergs Minnepreisung prächtig. Otto zum Turms Stück
„froet iuch (der vil lieben zît)“, das Christoph
Möchler schon für die CD „Falken, Lerchen,
Nachtigallen“ (Heckenreiter, 2008) eingesungen und -gespielt
hatte, ist hier in einer interessanten Interpretationsvariante zu
hören, die das Lied etwas ruhiger angeht. Überhaupt ist
insgesamt zu spüren, dass die Umsetzung der Lieder inzwischen
etwas mehr in die historisch-authentische Richtung zielt. Dies
unterstützt vor allem das sehr intuitive Harfenspiel von Chiara
Pedrazzetti und der wie immer grandiose Flöten-Virtuose Peter
Immanuel Krafft von Dulamans Vröudenton. Nur manchmal geht noch
der Jazzer mit dem in vielen Genres erprobten Vollblut-Musiker
Christoph Mächler durch, was dem ganzen ebenso ie der kehlige
Gesang mit Schweizer Akzent ein unverwechselbare erfrischende Note
gibt. Zwischen den spannenden und neuartigen Neuvertonungen der
Schweizer Helden gibt es zur Entspannung schöne Versionen der
altbekannten italienischen Klassiker aus der British Library. (lj)
CD des Monats November 2011
UNICORN
Frolich, zärtlich, lieplich - Oswald von Wolkenstein (Raumklang)
Das
Ensemble Unicorn ist wie kein anderes in der Lage, aus einem
mittelalterlich inspiriertem Instrumentarium Klangfarben in
symphonischer Vielfalt hervorzulocken. Ensemble-Leiter Michael Posch
schafft mit Arrangements von äußerster Finesse, aber auch
mittels klug durchdachter und streng durchgearbeiteter Dynamik und
Agogik Meisterwerke der Interpretation früher Musik. Diesmal gilt
sein Augenmerk der Musik Oswald von Wolkensteins. Auch hier wieder ist
der Einsatz der Instrumente großartig, hinzu kommt aber viel
vokaler Glanz. Vor allem Oswaldsche Mehrstimmigkeit entfaltet sich:
Alles ist in Fluss und Entwicklung, blüht auf und nimmt sich
zurück im beglückten Musizieren. Dafür sorgt ein
hochkarätiges fünfköpfiges Sängerensemble, das sich
Oswalds Harmonien und dem Musiziergeist Michael Poschs hingibt.
Besonders im rhythmisch vertrackten Lied von „gút geboren
edelmann“ werden die Möglichkeiten der brillanten
Gesangsbesetzung voll ausgespielt, herrlich gelingt den Sängern
auch „Des himmels trone“. Eine Stimme aber sticht, wie
schon beim Unicorn-Album „Minnesang in Südtirol“,
deutlich heraus: Hermann Oswald! Es ist nicht nur die Farbe seines
herrlichen Tenors, die stets die Sahnehaube auf den Wohlklang setzt. Es
ist vor allem seine stets am Inhalt der Texte orientierte
Ausdrucksstärke, in Verbindung mit einer Artikulation, die so
deutlich ausfällt, das man die Texte nach dem Gehör
mitschreiben könnte! Gleich zu Anfang gelingt ihm mit dem
Klassiker „Vil lieber grüsse süsse“ ein echter
Knaller, was vom groovigen, höchst originellen Arrangement
unterstützt wird, bei dem sich die instrumentale Vielfalt
über einem hypnotisch treibenden Maultrommel-Beat (!) entfaltet.
Nach einem mit 20 Stücken randvollen Album begleitet der begnadete
Sänger-Entertainer Oswald (nomen est omen!) die Hörer auch
mit einer fulminanten „Vasennacht“-Finale ins heutige
Leben, in das man gar nicht zurückkehren möchte. Eine CD, die
bei jedem Hören neue Entdeckungen möglich macht! In diesem
kraftvollen Meisterwerk stört nur ein kleiner Wermutstropfen: das
„froleich geschrai“ der Sopranistin Agnes Boll
fällt eher spitz und hysterisch als fröhlich aus - ein
irritierender Moment, der zum Glück nach einer Strophe vorbei ist!
(lj)
> CD bestellen bei für 15 Euro plus 3 Euro Versand www.minnesang.com.
CD des Monats Oktober 2011
MINNESANGS FRÜHLING
Richard Löwenherz (Verlag der Spielleute)
Nach
der hervorragenden Debüt-CD „Ich zôch mir einen
falken“ mit den vielen deutsch-provenzalischen Liedvergleichen
und dem 2. Album ums Nibelungenlied legt Knud Seckel unter dem
Markenzeichen „Minnesangs Frühling“ nun sein drittes
Album vor, diesmal wieder in größerer Besetzung. Fünf
Musiker sind nun im Ensemble, neben Seckel seine Frau Susanne
(Flöte,
Gesang), die Harfenistin Britta Wengeler, der versierte Perkussionist
Frank Dieckmann und mit Stefan Blickhan (bekannt auch von Poeta Magica)
ein Virtuose auf Cister und Bouzouki, dem vor allem der arabische Stil
liegt. Er macht alle Stücke mit orientalischem Einschlag zum
Genuss! Außerdem sind mit Brigitta Jaroschek und Daniele
Heiderich (Gesang) von den Irrlichtern und Claudia Heidl (Portativ) vom
Musiktheater Dingo noch drei Damen geladen, um dem englischen
König mit der Krönungshymne „Redit etas aurea“
die Ehre zu erweisen. Seckels Gesamtkonzept greift weit zurück: Es
setzt ein
am Hofe von Richards Urgroßvater Wilhelm IX. von Aquitannien mit
der Entstehung des Sanges von der Fin Amors noch vor 1100. Es
folgen mit Bertran de Born und Peire Vidal weitere Beispiele der hohen
Trobadorkunst, in die der Herzog von Aquitanien und spätere
englische König hineinwuchs. Der Krönungspracht folgt dann
der
Aufbruch gen Jerusalem; die beiden Lieder um den Zwiespalt zwischen
Minnedienst und Kampfeslust sind die Höhepunkte des Albums: zum
einen Friedrich von Hausens Abschiedsgesang „Min herze und
mîn lîp“ in einer wunderbaren Vertonung des
Chastelain de Couci, dann mit „Ahi Amors“ der
zupackende „Hit“ fast jedes Seckel-Konzertes.
Natürlich ist auch der
herzergreifende Klagegesang Richards, der auf Burg Trifels
entstanden sein soll, zu hören; er wird geschickt gekontert mit
einem Sangesgruß seines „Gefängniswärters“
Kaisers Heinrich VI.! Angesichts der unsterblichen wunderbaren
Melodie von „Ja nus hons pris“ ist es höchst
bedauerlich, dass Richards zweites überliefertes Gedicht ohne Ton
daherkommt: Seckel rezitiert den Originaltext zur Harfe und legt
darüber einen Simultandolmetscher, der zudem noch schwierig zu
verstehen ist. Hier hilft nur der Griff zum Booklet. Am Schluss trumpft
das
Album aber noch einmal auf: Die Version des englischen Herbstliedes
„Miri it is“ besticht der rhythmische Prägnanz mit
fast schon rockigem Feeling. Dann durchleidet man bei der elegischen
Totenklage "Fortz causa es" die Qualen der Zeitgenossen und Freunde. Es
folgt Guilhem Figueiras böse
Anklage „D'un sirventes far“ gegen die Sünden der
römischen Kurie, die Richard trotz seiner Kreuzfahrer-Verdienste
einfach fallenließ. Diese Nummer setzt prägnant und
böse ein Ausrufungszeichen ans Ende! Aber Achtung: Die CD
nicht zu früh
abstellen, dem Schluss folgt noch ein Hidden-Track im
morgenländischen Flair. (lj)
>> Website des Ensembles hier.
> CD bestellen bei für 15 Euro plus 3 Euro Versand www.minnesang.com.
CD des Monats September 2011
BELLADONNA
Chanterai d'aquestz trobadors (Talanton)
Deutsche
Einspielungen des Trobador-Gesangs sind rar gesät, denn diese
Musik fordert genaue Kenntnisse der Sprache und Diktion dieser
großartigen Kultur. Das internationale Frauentrio Belladonna
besteht aus Absolventinnen der Schola Cantorum Basiliens, die ihren
Lebensmittelpunkt in Kanada, Schweden und Deutschland haben, aber zu
Konzerten und Tourneen immer wieder zusammenfinden. Die drei
verfügen über das nötige Wissen, die jahrelange
Erfahrung und die Intuition, um sich der schweren Aufgabe zu stellen.
Auf dem neuen Label Talanton (einem Ableger von
„Raumklang“) wird nun eine Live-Aufnahme des Ensembles vom
Freyburger Festival Montalbane 2006 vorgestellt. Temperamentvoll und
rhythmusbetont preisen die drei Damen mit dem Titelstück zu Beginn
mit Peire d'Alvergne die Kunst der okzitanischen Meister. Harfenklang
und eine der unendlich traurigen Tonfolgen, die den Trobadorgesang zur
nie versiegenden Quelle des bittersüßen Schwelgens für
alle unglücklich Liebenden gemacht haben, markieren den Beginn des
Hauptteils des Konzertes. Dieser ist mit „Liebesfreud und
Liebesleid“ nicht ganz richtig überschrieben: Die
Liebesfreuden sind ja nur als ferne Ahnung im Leiden an der
unstillbaren Sehnsucht präsent. Sängerin Miriam
Andersén gibt sich ganz in diese schmerzvolle Welt hinein. Die
Melodien werden mit Wärme und Einfühlung interpretiert, ohne
die vokalen Manierismen späterer Epochen, aber auch ohne die
nüchterne Klarheit einer allein am reinen Ton interessierten
Aufführungspraxis. Die Begleitung durch Rebecca Bain und
Susanne Ansorg auf ihren Fideln, Miriam Anderséns Harfe und
dezenter Percussion umspielt die Melodien und Bordune, ist aber in
ihrer vermeintlichen Einfachheit stets klug durchdacht und
wirkungsvoll. Auffällig ist, dass die Hits des Genres umgangen
werden: kein Lerchenlied, kein „Lanquand li jorne“, noch
nicht mal ein Vaqueiras. Und von der Comtessa de Dia statt „A
chantar“ das nicht minder wirkungsvolle „Estat
ai...“. Das Programm endet auch nicht mit der Hochphase der Fin
Amors, es reflektiert mit religiös-politischen Liedern die
Hinwendung der Trobadors zu den Katharern und die Vertreibung der
Sänger ins Exil nach den Albigenserkriegen. Gerade wegen dieses
begrüßenswerten Anspruchs vermisst man schmerzlich ein
Booklet mit Texten und Übersetzungen, um tiefer in die Materie
einzusteigen. Hier verspricht die Plattenfirma noch Informationen auf www.talanton.de,
die hoffentlich bald bereitstehen. Ansonsten: ein hochambitioniertes
und rundweg gelungenes Album, das neugierig auf weitere
Talanton-Veröffentlichungen macht!
> Ensemble-Website auf My Space.
CD des Monats August 2011
STUDIO DER FRÜHEN MUSIK THOMAS BINKLEY
Troubadours, Trouvères, Minstrels (Warner Classics)
Warner
Classics bringt die Minne-Klassiker zurück in den Handel: Thomas Binkleys
bahnbrechende LPs "Minnesang und Spruchdichtung" (1966), "Troubadours"
(1970) und "Trouvères" (1974) wurden ja von der Teldec bereits
1996 auf einer Doppel-CD zusammengefasst. Die neue Edition bleibt bei
der Ordnung von damals, ersetzt nur das Manesse-Bild durch ein
aufwändigeres Cover. Dieses Album gehört in die Sammlung jedes
Minnesang-Liebhabers: Es bietet zum einen mit der stilsicheren Auswahl
die einzig wirklich gültige Best-Of-Compilation der drei Varianten
der Fin Amors in altprovenzalischer, anglonormannischer und
mittelhochdeutscher Sprache. Von Ventadorns Lerchenlied über
Walthers und Neidharts Meisterwerke bis hin zu den anrührenden
Trouvère-Stücken von Gace Brule und Gillebert de
Berneville! Dessen ganz schlichtes, aber unglaublich wirkungsvolles
"De moi doleros vos chant" über einen Menschen, der die Liebe nie
kennenlernen durfte, ist ein ergreifender Höhepunkt der Sammlung.
Ansonsten merkt man, wie viele Musiker durch Binkleys Interpretationen
inspiriert wurden: Der Swing aus Ougenweides "Gerhart Atze" ist bereits
hier angelegt; mit dem durch D-Bordun in die Mollsphäre geholten
"Under der linden" und dem durch Vereinheitlichung der Vorzeichen
harmonisch geglätteten Wizlaw-Lied "Loibere risen" wurden
Standards geschaffen, die von Angelo Branduardi bis hin zu Estampie oder Faun
übernommen wurden. Die Wizlaw-von-Rügen-Nummer ist
übrigens in ihrer friedlich-meditativen Stimmung ein weiteres
Glanzlicht des Doppel-Albums. Schön auch, dass mit dem
hochartifiziellen Sangspruch "Ich warne dich, vil junger man,
gezarte" eine ganz andere Seite des vielseitigen Komponisten Wizlaw gezeigt
wird. Kunstvoll auch Frauenlobs "Es waent ein narrenwise": Der von sich
selbst begeisterte Meister wird dabei mit leichter Ironie bedacht. Richtig
witzig und zupackend wird es beim Unverzagten und seinem Spottlied auf "Kuninc
Rodolp", der seine Musiker nicht bezahlen wollte. Binkleys Anspruch, die mittelalterliche Musik nicht nur
historisierend mit Ehrfurcht darzubieten, sondern ihr neues Leben zu
schenken, zieht sich durch alle drei LPs. Sie kann auch heute noch
Wegweiser und Inspiration sein! (lj)
> Die Doppel-CD kann für 20 Euro plus 3 Euro Versand hier bestellt werden.
CD des Monats Juli 2011
ENSEMBLE FÜR FRÜHE MUSIK AUGSBURG
Amours et Desirs (Christophorus)
Ein
weiteres Meisterwerk des Augsburger Ensembles wurde im Juni mit neuem
Cover wieder auf den Markt gebracht: "Amours et Desirs". Die
Trouvères sind die Erben der Trobadors, der Vorreiter des
Minnesangs. Der Unterschied zu den erstgenannten, die um 1100 in
Aquitanien den Hohen Sang an die unerreichbare, ferne Dame zu
Höfischen Kultur machten, ist zum einen die Sprache. Das im Norden
Frankreichs gesungene Anglonormannisch ist dem heutigen Franzöisch
viel näher als der altprovenzalische Gesang der Troubadoure.
Insgesamt hört man auch auf dieser CD eine größere
Eingängigkeit und Leichtigkeit heraus als bei den tieftraurigen
Trobadors, was auch durch die häufiger auftretende Verwendung von
Refrains dokumentiert wird, die die übliche Versform der Kanzone
erweitern. Die Interpretation des Augsburger Ensembles ist erneut
großartig, vor allem die beiden sich wunderbar ergänzenden
Männerstimmen und die stilvollen Arrangements machen das Album zum
Genuss. Dass die Trouvères aber auch richtig traurig sein
konnten, beweist Blondel des Nesles "L'amour dont sui espris", in
seiner schlüssigen Interpretation der Höhepunkt des Albums.
Die Melodie ist ja auch als Vertonung des Carmina-Burana-Textes
"Procurans odium" bekannt, die Augsburger holten sich für die
Begleitung Anregungen bei der klerikalen Parallelüberlieferung und
machten doch ein zu Herzen gehendes Minne-Meisterwerk daraus.
Empfehlenswert!
> CD bestellen bei für 15 Euro plus 3 Euro Versand www.minnesang.com.
> Website: www.e-f-f-m-a.de
CD des Monats Juni 2011
PEREGRINA
"Crux" (Glossa)
Ihr
letztes Album "Filia Praeclara" mit Gesängen aus dem 13. und 14.
Jahrhundert, wie sie einst in den polnischen Klarissenklöstern
gesungen wurde, eroberte zurecht den Klassik-Echo für die beste
A-cappella-Einspielung (2009). Das Frauenensemble aus der Schweiz
besticht durch Klarheit, Klangschönheit und Spiritualität.
Nun folgt mit "Crux" ein Werk mit Ostermusik der selben Zeit, diesmal
vorwiegend aus Paris. Also nicht ganz so fernab vom Fokus der Kenner
und Liebhaber mittelalterlicher Musik! Trotzdem ist die Suche nach
wenig erforschtem Terrain eine der Haupttriebfedern der drei
engagierten Musikerinnen. Bei der Interpretation bemüht man sich
um Quellentreue, ohne dabei die klangliche Balance aus dem Auge zu
verlieren. Agnieska Budzinska-Bennett hat die
Auferstehungs-Gesänge und Estampien der Notre-Dame-Schule,
darunter auch einige Werke von „Philipp dem Kanzler“,
stimmig und stimmungsvoll arrangiert. Herrliche Stimmen, mal solo, dann
wieder gemeinsam, mal eindringlich einstimmig, dann wieder raffiniert
polyphon - die Liebhaber sakraler Klänge kommen voll auf ihre
Kosten! Ergänzt wird der makellose Vokalklang durch die herrlich
gespielte Fidel Baptiste Romains. Peregrina sind in diesem Jahr auch
beim Montalbane-Festival zu erleben, und zwar am 19.6. um 15 Uhr in der
Stadtkirche St. Marien in Freyburg/Unstrut. Das sollte man sich nicht
entgehen lassen!
>Website: www.peregrina.ch
CD des Monats Mai 2011
POETA MAGICA
"Edda Vol. 2" (Poeta Magica)
Auf
diese CD hatte man lange warten müssen: Poeta Magica versprachen
schon lange eine Fortsetzung ihres Meisterwerkes um die
„Edda“, bisher der Höhepunkt des Schaffens des
Ensembles zwischen Mittelalter, Weltmusik und nordischer Tradition.
Eigentlich sollte das Album „Spoken Edda“ angekündigt
– gut, dass der unpassende Anglizismus aufgegeben wurde, zumal ja
beileibe nicht nur gesprochen wird! Weiterhin sollte laut
Ankündigungen von Poeta Magica ja eigentlich der bereits 2006
verstorbene Star-Sprecher Achim Höppner (Gandalf beim Film
„Herrn der Ringe“) zu hören sein. Er hatte vor Jahren
auf Anregung von Rafael Arroyo einige Teile der
„Edda“ eingesprochen, die Poeta Magica
ursprünglich verwenden wollten. Dies wurde der Gruppe vom
Rechteinhaber jedoch nicht gestattet Statt Höppner spricht nun
Rainer Hildebrand, bekannt
als „Haduwolff“ und Gründer der „Ars
Militia“. Auch er versteht es, mit sonorer Stimme Atmosphäre
zu zaubern. Doch weit mehr Aufmerksamkeit erzeugt der Kölner
Professor Dr. Ulrich Mehler, ein Urgestein der universitären
Mittelalterszene, der lange mit den legendären Sequentia
zusammenarbeitete, die ja auch einst die „Edda“ im
Repertoire hatten. Er erzählt die Geschichten aus der
altnordischen Sammlung so ungezwungen und frisch, als wäre er
selbst dabei gewesen. Dabei setzt er einen Gegenpol zur drückenden
Schicksalsschwere, die diesen Sagenkreis durchströmt. Obwohl die
Musik, die neben schwedischen Traditionals Kompositionen von Holger
Funke und Boris Koller enthält, eher schwermütig und
sphärisch die Fäden aus dem 1. Album orchestral fortspinnt,
sorgt Mehlers Erzälerpersönlichkeit für eine erfreuliche
Erdung. Ein Hörbuch der besonderen Sorte, nicht nur für
Freunde der nordischen Götterwelt!
>Website: www.poetamagica.de
CD des Monats April 2011
PAUL HOFHAIMER CONSORT SALZBURG "Mönch von Salzburg" (Arte Nova)
Der
Mönch von Salzburg war kein Kind von Traurigkeit: Einer breiteren
Öffentlichkeit ist er durch die umwerfend komische
Falkenlied-Parodie bekannt (die hier leider fehlt), dazu die auch auf
diesem Album schwungvoll dargebotenen Klassiker „dy
trumpet“, das Rosenlied und den Martinskanon. Also eher Derbes
mit deutlich erotischem Unterton, und auch die Musik führt mit
Bevorzugung der großen Terz aus der mittelalterlichen Melancholie
heraus. Allenfalls kennt man dann noch das Weihnachtslied
„Joseph, lieber Joseph“, dabei bieten seine geistlichen
Werke ein weit breiteres Spektrum! Dem Paul-Hofheimer-Consort aus der
Heimatstadt des Mönchen ist zu danken, dass man hier eine gute
Stunde lang Musik des Mönchen in alle ihrer Vielschichtigkeit
hören kann. Die an der Binkley-Schule orientierte Interpretation
bietet klug durchdachte, farbige Arrangements, in deren kultivierte
Klangschönheit ab und zu auch mal ein frecherer Ton hereinfallen
kann – hier ist vor allem der Tenor Michael Seywald zu loben, der
auch die künstlerische Leitung des Ensembles hat. Beim breiten
Schaffen des Mönchen und der guten Überlieferungslage bleibt
das Album gezwungenermaßen nur ein Querschnitt. Schmerzlich
vermisst wird neben dem Falken auch das derb-erotische
„Kühhorn“ und die
Elisabeth-von-Thüringen-Preisung „Gaude Syon“.
Trotzdem bislang die umfassendste CD-Präsentation des Werkes des
Mönchen in überzeugender Umsetzung! Wer eine Alternative bzw.
sinnvolle Ergänzung haben möchte, sollte sich die 2008 neu
aufgelegte CD „Mönch von Salzburg“ der Gruppe
Bärengässlin besorgen, mit schlichteren Arrangements und eher
folkigem Gesang. (lj)
> CD bestellen bei für 15 Euro plus 3 Euro Versand www.minnesang.com.
> Website: Paul Hofhaimer Consort
CD des Monats März 2011
TRIPHONIA "Mia Yrmana Fremosa - Medieval woman's songs of love and pain" (Challenge Records)
Mittelalterliche
Frauenlieder von Liebe und Qual - Triphonia sind mit wahrem
Samnmlereifer ans Werk gegangen und bieten einen breiten Querschnitt
durchs Genre. Er beginnt mit den herrlichen Cantigas aus Vigo, reicht
über parodistisch Eingefärbtes wie Etienne de Meaux'
Anklage an den kaltherzigen Ehemann und Neidharts
Mutter-Tochter-Dialoge bis hin zu diversen Liedern der
Gottesminne. Das Frauen-Trio besteht aus der rührigen
Berliner Welt-Musikerin Gaby Bultmann, der versierten
Flötistin Leila Schoeneich (Fontana di Trevi) und der
Binkley-Schülerin Armanda Simmons als Zentrum des Ensembles. Der
Einfluss des unvergessenen Meisters vom Studio der Frühen Musik
ist noch deutlich spürbar - die drei Musikerinnen bringen das
vielfältige Material stilsicher und trotzdem mit Finesse und Sinn
für unerwartete Wendungen auf CD. Mal einstimmig, dann wieder in
ausgeklügelten Chören in mittelalterlicher Satztechnik
gesungen! Puristinnen könnten beklagen, dass Trobairitz, ja
weibliche Dichterinnen insgesamt fehlen: Beatriz de Dias "A chantar"
als Vorzeige-Minnelied weiblicher Urheberschaft wird diesmal nicht
präsentiert, allein bei anonymen Stücken wie eineigen
Chansons de toile und der herrlich interpretierten
Carmina-Burana-Nummer "Ich was ein chint" über den zudringlichen
Kerl an der Linde ist eine Frauenhand denkbar. In der Interpretation
der vitalen Damen aus Berlin, die noch deutlich von der
"historisch-authentischen" Musizierweise getragen werden, ist jedoch
genug weibliches Knowhow vorhanden, um die Frauensicht der Liebe, die
auch manchem mittelalterlichen Dichter vertraut war, sicher zur Geltung
zu bringen. Danke schließlich auch für das Booklet mit allen
Liedtexten, Übersetzungen und Hintergundinformationen! (lj)
> Website von Leila Schoeneich und Gaby Bultmann.
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>> CDs des Monats aktuell.
>> CDs des Monats Vorjahre
>> CD-Angebot Minnesang.com
CD des Jahres 2012
LEONES
Neidhart - A Minnesinger and his "Vale Of Tears" (Naxos)
Marc
Lewon und seine Leones fügen bei dieser Einspielung der
frühesten Melodienüberlieferung Neidharts (Frankfurter
Fragment) der umfangreichen Neidhart-Rezeption die fehlende
Nuance hinzu. Im öffentlichen Bewusstsein ist der
Minnesänger, der auf satirische Weise den Niedergang des Adels und
den Aufstieg des Bauerntums in den Blick nahm, durch viele
grobschlächtige Interpretationen selber als eine Art Dörper
präsent. Dass der Mann ein höchst kunstfertiger Poet und
Sänger von sensiblem Gemüt war, fällt dabei unter den
Tisch. Diese Einspielung führt Neidhart in die höfische
Tafelrunde zurück! Schon dafür gebührt die Auszeichnung
als CD des Jahres. Marc Lewon ist aber zusätzlich für sein
großes musikalisches Engagement für die Musik des hohen und
späten Mitttelalters zu ehren, denn auf vielen bemerkenswerten CDs
der letzten Zeit (Glogauer Liederbuch, Peregrina, La Bella Mandorla,
Les Flamboyants, Unicorn) ist er zu hören. (lj)
> Die Original-CD-Kritik findet sich hier.
> Neidhart in der Bibliothek der Minnesänger.
> Magisterarbeit von Marc Lewon zum Frankfurter Neidhart-Fragment.
CD des Jahres 2011
Oni Wytars "Mediterraneum" (Sony Music)
Keine Frage, das ist sie: Die CD des Jahres 2011 aus der Sparte mittelalterlicher, minniglicher, meisterhafter Musik! Das
Mittelmeer galt im Mittelalter als Mittelpunkt der bewohnten Welt, die
Musik des Mitttelmeerraums kommt also aus der Mitte des Seins. Oni
Wytars nehmen das als Auftrag und nähern sich der
Überlieferung nicht akademisch, sondern spirituell: also sozusagen
meditativ-mediterran. Marco Ambrosini, Katharina Dustmann, Peter
Rabanser, Michael Posch und die beeindruckende Vokalistin Belinda Sykes
sind nicht nur brillante Musiker, sondern selber auch
"mittendrin": an vielen Orten mit offenen Ohren dabei, immer bereit
für gemeinsames Musizieren, das Einatmen von Impulsen,
Spieltechniken, Melodien, Skalen und Klangcharakteristika. Deshalb
gelingt der Grenzgang zwischen Orient und Okzident, zwischen
akribischer Recherche und spontaner Improvisation, ohne dass daraus -
wie bei vielen anderen Ensembles - ein beliebiges Allerlei wird. Als
Fixpunkte in den manchmal ungewohnten Klangwelten dienen Klassiker des
Ensembles wie "Jalla man", der gute alte Saltarello und "Stella
splendens" - letzteres in einer 8-Minuten-Version von berückender, ja beglückender
Intensität! Die jahrelange Beschäftigung mit Melodien hilft
den Musikern, zu Tiefenschichten vorzudringen, die andere nicht
erreichen können. Gleichzeitig erlebt man Momente der
Vertrautheit, bis man wieder bereit ist, Neues zu entdecken. Ein
weiterer Beweis für die Meisterschaft des Weltklasse-Ensembles,
das den Mittelpunkt zeitgemäßer Mittelalter-Interpretation
trifft! (lj)
> CD bestellen bei Amazon.
> Website des Ensembles hier.
NOCH MEHR TIPPS:
TRISKILIAN
Neo (Alive)
Triskilian
erfinden sich mit jeder CD neu: Klangen sie beim Debütalbum
„Triskilian“ noch rau und ungeschliffen wie frisch
vom Mittelalter-Markt, so glaubte man sie bei
„Werltenklanc“
exakt am Schnittpunkt zwischen Mittelalter, Weltmusik und Folk verorten
zu können. Mit „Do durch der werlde“ legten sie dann
ein fast schon klassisches Mittelaltermusik-Album hin, das auch Oni
Wytars oder Unicorn zur Ehre gereicht hätte. Doch beim von Mystik
durchwehten „Birkenhain“ dominierten plötzlich
die Liedermacher-Elemente. Und nun also mit „Neo“ nichts
weniger als ein Pop-Album, bei dem auch Computerdrums und
Electrobässe grooven dürfen: „transmedial beatz“
ist der Untertitel, den Jule Bauer und Dirk Kilian diesem Album zurecht
gegeben haben. Mit dem Soundbastler Jost Pogrzeba haben Triskilian
einen idealen Partner gefunden, der ihre Musik auf verblüffende
Weise ergänzt und bereichert, ohne ihren Markenkern zu
zerstören. Ein Motto findet sich auch auf dem Plattencover:
„Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der
Asche“. In diesem Sinne können dann auch sephardische Lieder
wie das von Jule hinreißend gesungene „Avrix mi
galanica“ in ein treibendes Klanggewand gehüllt werden.
Tatsächlich, aber das weiß man ja längst von vielen
Kollegen der „mittelalternativen“ Szene, passen Drehleier,
Nyckelharpa und Cister ganz vorzüglich zu Electrobeats und
Rockrhythmen. Neben den schon erwähnten sephardischen Liedern
(auch das wunderbare „La rosa enflorece“ ist dabei) stammt
das traditionelle Material aus Mazedonien und Bulgarien, hinzu kommen
wieder eigene Lieder aus der Feder von Dirk Kilian, von denen besonders
der programmatische Opener „Vielfalt“ besticht, der ein
Plädoyer für Mut und Toleranz darstellt. Freunde des
Mittelalters werden ganz am Ende noch mit einem Bonustrack belohnt: Ein
Remix von Hildegard von Bingens „Viridissima“, bei denen
die ostinaten Beats in einem spannenden Kontrast zum engelhaft
schwebenden Gesang stehen, der vom Harfenklang umschmeichelt
wird. (lj)
>> Zur Triskilian-Website.
LES HAULZ ET LES BAS
Ad Modum Tubae (Talanton)
Das
nun bei Talanton im edlen Digipack erschienene Album gab es schon
einige Zeit beim Museums-Shop der Neuenburg in limitierter Auflage mit
einfachem Pappcover. Schon im Juli 2010 kürte Minnesang.com das
Album zur CD des Monats! Die Musik, die "Les Haulz et les Bas" beim
furiosen Eröffnungskonzert des Montalbâne-Festivals 2009
darboten, hat aber eine größere Verbreitung und eine edlere
Edition verdient. Insofern besteht also Grund zur Freude, dass diese
großartige Live-Aufnahme nun auch auf diese Weise
präsentiert wird. Nachempfunden wird hier die Musik der "Alta
Capella", also Musik, die vor allem der städtischen
Repräsentation diente. Da kam es auf Lautstärke und Glanz an,
aber auch auf Virtuosität, denn schließlich wollten wichtige
Ereignisse feierlich begangen sein und auch die Musik war ein
Aushängeschild. Die hier vorgestellten Beispiele reichen vom
archaischen Quintklang bis hin zum fast schon symphonischen
Arrangement. Denn die international formierten Blasmusiker um das
charismatische Musikerpaar Ian Harrison und Gesine Bänfer,
ergänzt um die hervorragende Percussion des Lokalmatoren Michael
Metzler, beschränken sich natürlich nicht nur auf die
repräsentative Pflicht. Als Kür kommt eine unbändige
Spielfreude hinzu, ja, eine wahre Lust am Experimentieren mit dem
musikalischen Material, die das Freyburger Publikum geradezu von den
Kirchenbänken fegte. Die CD gibt diese Stimmung auch klanglich
hervorragend wieder! (lj)
IOCULATORES/JÖRG PEUKERT
Der erlauchte Fürst (Talanton)
Zwar
gibt der „Erlauchte Fürst“ Heinrich von
Meißen – nicht zu verwechseln mit seinem später
lebenden Namensvetter, der auch "Frauenlob" genannt wurde und hier mit
einer Estampie eine kleine Hommage bekommt – dem Album seinen
Namen. Doch die ausgewählten Werke dieser CD, die im Zusammenhang
mit einer Ausstellung zur höfischen Kultur in Zeiten des
Naumburger Meisters entstandt, stehen in Bezug zur ganzen Pracht
der Thüringer und Meißner Herrscher und Mäzene im
13. Jahrhundert. Allen voran der vielgepriesene Landgraf Hermann I.!
Die Musikbeiträge wechseln ab mit Textrezitationen von Jörg
Peukert – spannden ist der Kontrast der Stimmen: Auf der einen
Seite Sänger Robert Weinkauf mit seinem oft elegischen, hohen
Tenor, auf der anderen Seite der Sprecher mit seinem unnachahmlich
markantem Tonfall. Er lässt den Meißner Herren hochleben mit
Preisungen Reinmars von Zweter und Konrads von Würzburg, er gibt
auch einem minniglichen Dichtversuch des "Erlauchten" höchtselbst
Raum. Darüber hinaus erzählt er in den Worten der
„Dürigischen Chronik“ vom Sängerkrieg auf der
Wartburg und lässt zu Beginn und zum Ende der CD den
Tannhäuser mit Sangsprüchen zu Wort kommen. Dieser konnte
ja entgegen Richard Wagners Schilderungen als Kleinkind ja noch
nicht am Sängerkrieg selbst teilnehmen! Was die Musik angeht: Wer
alle CDs der Ioculatores besitzt, hat schon alles im Schrank. Mit einer
nicht ganz unwichtigen Ausnahme: „Staeter dienest“, des
Tanhäusers Parodie auf die Ideale der Hohen Minne, war ja immer
ein Höhepunkt bei den Konzerten des Ensembles! Höchste Zeit,
dass diese Umsetzung des Stückes, die vernünftigerweise die
satirischen Elemente des Liedes um eine unmäßiger Herrin
betont, endlich auf CD kam. Alles in allem also trotz des
Wiederholungsfaktors eine gelungene Produktion, die auch als Gesamtwerk
überzeugt. (lj)
AYRAGON
Mit guenstlichem Herzen (Selbstverlag)
Ayragon
sind am ehesten von allen heutigen Bands die Erben von 70er-Jahre-Bands
wie Fiedel Michel (auch Ayragon fiedeln herrlich) und den
frühen Ougenweide (vor der Elektrifizierung). Nicht nur die
Verbindung von alt und neu, auch der Einsatz des Glockenspiels und die
rhythmische Prägnanz erinnern an Frank Wulff & Co. So gibt es
mit Neidharts "Mayenzeit" eine Coverversion mit Kanon und zweiter
Stimme im Satz der Alt-Heroen und der gesamte erste Teil von "Amoroso"
besteht aus Ougenweides "Pferdesegen". Bei den Merseburger
Zaubersprüchen haben sie dagegen eine originelle Neuvertonung im
Programm. Ansonsten widmen sie sich vor allem Oswald von Wolkenstein,
dessen Klassiker klangschön und rhythmisch aufgepeppt dargeboten
werden. Lockerleichter Minne-Folk mit Flöten und Frauenstimmen!
(lj)
> Website: www.ayragon.de
ENSEMBLE NU:N
Salutare (Raumklang)
Das
Ensemble Nu:n knüpft da an, wo Jan Garbarek mit dem
Hilliard-Ensemble vor Jahren seinen Meilenstein setzte: Improvisation
zu sakralen mittelalterlichen Klängen. Nur dass hier keine Herren
singen, sondern mit Rebecca Bain und Katherine Hill zwei inspirierte
Damen, und dass zum Saxophon sich auch noch eine E-Gitarre gesellt. Bei
allem Respekt für den Altmeister, die Hilliards und ihre
Pioniertat, mit etwas Abstand klingt die interkulturelle
anachronistische Begegnung etwas zu glattgeputzt, der Wohlklang
tendiert manchmal erschreckend in Richtung New-Age-Meditation. Bei Nu:n
ist das nicht der Fall, man merkt den Respekt vor dem Erbe, gesungen
wird klar und hell, aber auch inspiriert und selbstversunken. Das
Saxophon Gert Anklams weckt natürlich immer wieder die Erinnerung
an Garbarek, verschließt sich aber auch nicht der Düsternis
des Daseins. Das beste an dieser klanglich über alle Kritik
erhabenen Produktion ist aber die Gitarre Falk Zenkers, der mit klarem
Ton Melodietupfer durch die Kirche schweben lässt, aber auch
geschickt mit Echo-Effekten und Loops jongliert, um sich dann wieder
zurückzunehmen und den herrlichen Stimmen ihren Raum zu lassen und
sie mit angejazzten Akkorden zu umschmeicheln. Das Ausgangszaterial
sind Melodien Hildegard von Bingens, gregorianische Choräle, sowie
Liturgisches aus dem alten Frankreich. Das anspruchsvollste Werk mit
fast 11 Minuten Länge steht gleich am Anfang, eine
improvisatorische Antwort auf die hochkomplexe Vierstimmigkeit Perotins
mit ihren tastenden Figurinen über einer endlos gedehnten
Choralmelodie. Die schwere Aufgabe wird mit Fantasie und klanglicher
Finesse gelöst! Alles in allem ein wirklich originelles Album, das
als Bonus sogar noch ein stimmungsvolles Konzertvideo mit dem
„Benedicamus Domino“ aus dem Codex Engelberg bietet.
> Website: www.ensemblenun.com
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